Ukraine erlässt neues Gesetz

Merkur
Ukraine erlässt neues Gesetz, um Deserteure härter zu bestrafen
07.02.2023, 16:39 Uhr
Von: Katja Saake
Präsident Selenskyj unterzeichnet gegen starke Kritik im eigenen Land ein Gesetz zur Straferhöhung bei Dienstverstößen von Soldaten. Die Militärdisziplin sei kriegsentscheidend.

Kiew – Trotz Kritik aus verschiedenen Gesellschaftsgruppen und einer Petition mit knapp 35.000 Unterschriften hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj geweigert, sein Veto gegen ein in der Ukraine umstrittenes Gesetz einzulegen. Mit ihm sollen ukrainische Deserteure und Soldaten, die gegen militärische Regeln verstoßen, härter bestraft werden. Das ukrainische Parlament hatte das Gesetz bereits am 13. Dezember verabschiedet. Nun hat sich Selenskyj dazu geäußert, warum auch er das Gesetz am 25. Januar unterzeichnet hat und damit die Initiative des Generalstabs der ukrainischen Armee unterstützt hat.

Selenskyj für härtere Strafen: Einhaltung der Militärdisziplin entscheidend für Sieg

Selenskyj antwortete am vergangenen Donnerstag (02. Februar) auf die Petition, die sein „Veto gegen das Gesetz Nr. 8271 über die Verschärfung der Bestrafung des Militärpersonals“ gefordert hatte: „Die Garantie der Kampffähigkeit der Militäreinheiten und letztendlich des Sieges der Ukraine über den Angreifer ist unter anderem die Einhaltung der Militärdisziplin, die auf dem Bewusstsein der Soldaten ihrer Militärpflicht, der Verantwortung für den Schutz des Vaterlandes, beruht.“ Und weiter: „Das Militärpersonal ist verpflichtet, die Verfassung und die Gesetze der Ukraine, den Militäreid und die Anforderungen der Satzung der Streitkräfte strikt einzuhalten.“

Er habe bei seiner Entscheidung die Position des Oberbefehlshabers der Streitkräfte der Ukraine und der Kommandeure von Militäreinheiten berücksichtigt, die denken würden, dass das Gesetz die Verantwortung für die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Kampfumfeld stärken und auch helfen werde, Personenverluste im Ukraine-Krieg zu vermeiden, so Selenskyj in seiner schriftlichen Antwort auf die Petition.

Neues Gesetz in der Ukraine: Höhere Strafen, keine Bewährung

Das neue Gesetz soll die Strafen für Verstöße von Soldaten vereinheitlichen und verschärfen und die Disziplin und Kampfbereitschaft der militärischen Einheiten im Ukraine-Krieg verbessern. Nichtbefolgung von Befehlen, Desertion oder auch Alkoholkonsum sollen stärker bestraft werden. So wird die Nichtbefolgung eines Befehls mit fünf bis acht Jahren Gefängnis bestraft, anstatt wie bisher mit zwei bis sieben. Und für Desertion kann eine Gefängnisstrafe von bis zu 12 Jahren verhängt werden. Die Verhängung einer Bewährungsstrafe oder eines geringeren Strafmaßes, als der im neuen Gesetz vorgesehenen, wie zuvor praktiziert, ist den Gerichten mit dem neuen Gesetz nicht mehr möglich.

Befürworter des neuen Gesetzes, wie der Generalstab der ukrainischen Armee, argumentieren, dass die Bestrafung gerechter werde, berichtet das Nachrichtenportal Politico. Zuvor hätten die Gerichte von Fall zu Fall individuell geurteilt und das Strafmaß sei unterschiedlich hoch ausgefallen. Zum Teil seien Soldaten auch höher bestraft worden als andere, die schwerere Verstöße begangen hätten.

Kritik an neuem Gesetz: Menschenrechte in der Ukraine in Gefahr

Sowohl Menschenrechtsorganisationen als auch Anwälte haben sich hingegen kritisch gegenüber dem neuen Gesetz geäußert. Sie sehen die individuellen Rechte der Soldaten in Gefahr. Denn die neuen Strafvorschriften würden den Ermessensspielraum einschränken und die Gerichte in einen „Rechner“ für die Bestrafung von Soldaten verwandeln, ungeachtet der Gründe für ihre Straftaten. So argumentierte Rechtsanwalt Anton Didenko in einer Kolumne der russischen Nachrichtenagentur Interfax, wie Politico berichtet.

Und die NGO Reanimation Package of Reforms Coalition teilte mit: „All dies wird es den Gerichten nicht erlauben, die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen“. „Dies wird negative Folgen für den Schutz der Rechte von Militärangehörigen haben, die einer Straftat beschuldigt werden, und wird die Motivation während des Dienstes verringern.“

Offiziere der Ukraine kritisieren: Gesetz löse nicht die Ursachen

Mehrere Offiziere haben kritisiert, dass das neue Gesetz nicht die Ursachen von Regelverstößen innerhalb der ukrainischen Armee angehe. Gegenüber Politico erklärte ein Offizier, dass viele Disziplinprobleme auf eine zu hohe Belastung der Streitkräfte im Ukraine-Konflikt im Kampf gegen eine weitaus größere Armee beruhen würden. Es könne nicht so oft rotiert werden, wie es sein sollte. „Müdigkeit und Traumata führen zu psychischen Störungen und bringen Chaos, Nachlässigkeit und sogar Verderbtheit in das Leben eines Soldaten. Dies wirkt sich stark auf die Kampfqualitäten und den Gehorsam aus“, sagte der Offizier.

Zakrevska von der Ivan-Sirko-Brigade argumentierte ähnlich: Nur aus purer Verzweiflung würden Soldaten ihre Posten im Ukraine-Krieg verlassen. Kommandeure sollten ihre Kämpfer häufiger wechseln, um Desertionen zu verhindern. Außerdem würden die ukrainischen Soldaten ihre Stellungen trotz aller Schwierigkeiten selten aufgeben: „Sie kämpfen weiter, selbst wenn sie zahlenmäßig unterlegen sind und erhebliche Verluste erleiden.“

Ein neues Gesetz helfe bei diesen Herausforderungen nicht: „In Situationen der Verzweiflung und völligen Erschöpfung funktioniert die Angst vor strafrechtlicher Haftung nicht“, so Zakrevska. Präsident Selenskyj hat in seiner Antwort auf die Petition zugestimmt, dass Strafen gegen Militärpersonal ihre individuellen Umstände berücksichtigen sollten, ohne dazu jedoch weitere konkrete Aussagen zu machen. (kasa)