ZDFheute
Verdächtige Todesfälle: Russlands tote Oligarchen
von Sebastian Ehm, Nina Niebergall
30.08.2023 19:05 Uhr
Ob Wagner-Chef Prigoschin ermordet wurde, wird sich womöglich nie klären lassen. Sein Tod fügt sich in eine Liste ominöser Todesfälle von Oligarchen, die Putin in die Quere kamen.
Natalia Pschenitschnaja weiß, was passiert, wenn man dem System Putin in die Quere kommt. Sie war verheiratet mit einem russischen Oligarchen. Inzwischen ist er tot.
Bis 2018 lebte sie mit ihrem Mann, Walerie Pschenitschnij, ein unbeschwertes Leben. Zusammen mit seinem Sohn Denis hatte Pschenitschnij eine gut laufende Firma aufgebaut.
Russlands Oligarchen gelten als Profiteure des „System Putin“. Trotz der EU-Sanktionen ist es schwer, ihr Vermögen aufzuspüren.
Tod als Strafe für verweigerte Zahlung?
„Papa erhielt einen Auftrag vom Verteidigungsministerium“, erzählt Denis Pschenitschnij. „Er sollte 3D-Modelle erstellen und produzieren. Unsere Firma war darauf spezialisiert, originalgetreue Modelle von U-Booten mit allen Details zu erstellen.“ Ein millionenschwerer Auftrag aus öffentlichen Mitteln.
Eines Tages kamen FSB-Agenten und meinten: Sie haben einen guten Auftrag über eine hohe Summe bekommen. Wie es in unserem Land üblich ist, muss ein Teil davon als Provision an uns zurückfließen.
Am Anfang hätten sie 1,5 Millionen Euro gefordert. Wenig später wird der Unternehmer ohne Vorwarnung vom russischen Geheimdienst festgesetzt. Der Vorwurf: Veruntreuung von Staatsgeldern. Sohn Denis vermutet, dass sich sein Vater geweigert hat, den russischen Inlandsgeheimdiensts FSB zu bezahlen.
Seit dem Krieg in der Ukraine hat die EU Sanktionen gegen russische Oligarchen verhängt. Doch das ausgeklügelte System an Strohmännern und Scheinfirmen macht es schwer, die Vermögen aufzuspüren.
In der Zelle erhängt?
Kurz nach der Festnahme teilen die Behörden der Familie mit, Waleri Pschenitschnij habe sich in seiner Zelle erhängt. Doch die Familie glaubt das nicht, zu schwer sind die Verletzungen an Pschenitschnijs Körper. Mittlerweile haben Natalia und Denis in Frankreich politisches Asyl bekommen.
„Nichts kann so etwas rechtfertigen, wer ist zu so etwas fähig? Das sind Tiere.“ Natalia Pschenitschnaja, Waleris Ehefrau
Wer der Staatsmacht nicht gehorcht, lebt gefährlich. Vor allem seit Beginn des Kriegs in der Ukraine steigt die Zahl verstorbener Manager und Oligarchen auffällig an.
Lange Liste toter Oligarchen
Sergej Protosenja wird in seiner Villa in Spanien erhängt an einem Seil aufgefunden. Seine Frau und Tochter sterben durch Stichverletzungen.
Alexander Subbotin: vergiftet mit Krötengift im Haus seines Schamanen.
Alexander Tjuljakow, leitender Angestellter des Ölgiganten Lukoil, wird erhängt aufgefunden.
Rawil Maganow, Chef des Unternehmens Lukoil, kommt unter ungeklärten Umständen ums Leben.
Mafia-Methoden in Putins Russland
Am 23. August 2023 wird diese Liste noch länger: Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin sitzt mutmaßlich in einem Privatjet, der zwischen Moskau und St. Petersburg abstürzt. Alles sieht nach Fremdeinwirkung aus.
„So geht auch die Mafia vor, wenn sie Komplizen loswerden will. Das ist wie in Hollywood, im Film ‚Der Pate‘. Der seine Handlanger ausradiert, die in unserem Fall viele Geheimnisse des Putin Regimes mit ins Grab nehmen.“ Wladimir Osetschkin, Russischer Menschenrechtsaktivist
Bewiesen ist es nicht. Aber Prigoschins Tod passt ins Muster: Lange erledigte der immer reicher und mächtiger werdende Oligarch Putins schmutzige Geschäfte. Führte Putins Krieg in der Ukraine an vorderster Front und mit brutalen Mitteln. Bis er immer lauter Widerworte gab, immer unbequemer wurde. Und dass Waldimir Putin Verräter verabscheut – daraus machte er nie einen Hehl.
„Jedes Volk, insbesondere das russische, wird immer in der Lage sein, wahre Patrioten von Verrätern zu unterscheiden. Es spuckt sie einfach aus, wie eine Fliege, die in ihren Mund geflogen ist.“ Wladimir Putin, Präsident Russland
In St. Petersburg wird Söldnerführer Prigoschin beerdigt. Putin nimmt nicht teil. Viele seiner Anhänger in der Wagner-Truppe fragen sich: warum musste er sterben?
Von Putins Gunsten abhängig
Der Reichtum und die Verschwendungssucht der russischen Oligarchen sind sagenumwoben: Yachten, Privatjets, Luxus-Villen. Doch sie alle hingen schon immer von der Gunst des Kreml ab.
„Putin selbst ist das System. Und das System heißt Putin. Es sind Putins Oligarchen. Obwohl sie auch Eigentum besitzen, kommt ihr Reichtum nur aus dem Staatshaushalt.“ Jekaterina Schulmann, Politikwissenschaftlerin
2004 demonstriert Putin seine Macht am damals reichsten Mann Russlands. In einem Schauprozess verurteilt ein Gericht Michail Chodorkowski wegen Steuerhinterziehung zu neun Jahren Lagerhaft. Er hatte die Opposition unterstützt und nicht getan, was der Kreml wollte.
„Das war eine demonstrative Festnahme, um alle anderen einzuschüchtern. Danach haben politische Aktivitäten gegen den Kreml aufgehört“, sagt Jekaterina Schulmann.
Seit Kriegsbeginn hat der Westen viele Oligarchen mit Sanktionen belegt, ihre Vermögenswerte eingefroren, Einreisesperren verhängt. Viele der Superreichen mussten ihre Domizile im Ausland verlassen und sind zurück nach Russland gezogen.
Sie sind die reichsten Männer Russlands und herrschen über Firmenimperien: Oligarchen. Ihr Reichtum entstand und wuchs im Chaos der sich auflösenden UdSSR Anfang der 1990er-Jahre.
Kritik wird bestraft
Das macht sie noch abhängiger von Putins Gnaden. Der Industrie-Magnat Oleg Deripaska etwa kritisierte den Krieg in der Ukraine und war wenig später sein Luxus-Hotel in Sotschi los. Wer Widerworte gibt, wird bestraft.
Natalia Pschenitschnaja und ihr Sohn werden nicht mehr in ihre Heimat Russland zurückkehren. Zumindest nicht, solange sie im System Putin um ihr Leben fürchten müssen.
Wieder ist ein Vertreter der russischen Elite unerwartet gestorben: der frühere Leiter des Moskauer Luftfahrtinstituts, Anatoly Gerashchenko. Er ist der vierte in diesem Monat.