Oligarchengesetz

ZDF
3.9.2023

Das Bild von der Ukraine als ein korruptes Land, in dem Oligarchen die Fäden ziehen, hält sich im Westen hartnäckig. Und dies nicht ohne Grund. Männer wie Rinat Achmetow oder Ihor Kolomojskyj, die in den wilden 1990er-Jahren auf dubiose Weise Milliardenvermögen anhäuften, nahmen tatsächlich Einfluss auf die Politik des Landes: durch von ihnen abhängige Politiker sowie durch ihre Medien, mit denen sie die Stimmung beeinflussten. Selbst den ukrainischen Fußball nutzten viele Oligarchen als Bühne für ihre Machtspiele.

Ukraine: Platz 122 im Korruptionswahrnehmungsindex

Es war ein politischer Einfluss, der sich nicht nur in dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International widerspiegelt, in dem die Ukraine einen unrühmlichen 122. Platz belegt.

Mit der Serie „Diener des Volkes“, durch welche der heutige Präsident Wolodomyr Selenskyj endgültig zum Superstar aufstieg, griff auch die Unterhaltungsbranche das Thema auf.

Aktivistin: Bekämpfung der Korruption für Ukrainer mit wichtigstes politisches Ziel

„Man sollte nicht vergessen, dass sich seit dem Euromaidan 2014 [proeuroäische Proteste in der Ukraine – Anm. d. Red.] einiges getan hat“, sagt Olena Haluschka von der ukrainischen NGO „Anticorruption Action Centre“ gegenüber ZDFheute. „In der Ukraine entstanden Institutionen wie das Höchste Antikorruptionsgericht“, so die Antikorruptionsaktivistin. Und weiter:

Zudem ist der Druck der Zivilgesellschaft enorm. Selbst in den aktuellen Umfragen bezeichnen die Ukrainer die Bekämpfung der Korruption als das wichtigste politische Ziel. Direkt nach dem Sieg über Russland.

Memorial ist die älteste Menschenrechtsorganisation Russlands. Sie arbeitet unter anderem an der Aufarbeitung der Verbrechen des Stalinismus. Nun droht ihr ein Verbot.

Das Anti-Oligarchen-Gesetz

Ein weiterer weitreichender Schritt war das im September vergangenes Jahres verabschiedete sogenannte Anti-Oligarchen-Gesetz. Das zuerst für zehn Jahre geltende Gesetz sieht nicht nur ein Register für Oligarchen vor, sondern es verbietet ihnen etwa auch die Finanzierung von Parteien, politische Werbung und die Teilnahme an Privatisierungen. Zudem müssen sie ihre Vermögenswerte offenlegen.

Antikorruptionsaktivisten bemängelten jedoch von Anfang an, dass Selenskyj mit diesem Gesetz nicht gegen das Oligarchen-System vorgehen wolle, sondern gegen Konkurrenten wie seinen Amtsvorgänger Petro Poroschenko, dessen Vermögen auf rund 1,5 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, oder Rinat Achmetow, dem Selenskyj noch im November eine Beteiligung an Putschplänen vorgeworfen hat.

Vermögen von Oligarchen schrumpft

Doch ausgerechnet der russische Angriffskrieg auf die Ukraine führte dazu, dass die Macht der Oligarchen nun tatsächlich bröckelt – was vor allem wirtschaftliche Gründe hat. Allein das Vermögen von Rinat Achmetow, zu dessen Imperium unter anderem das Azovstal-Stahlwerk in Mariupol gehörte, reduzierte sich laut Forbes von 13,7 Milliarden US-Dollar auf 4,9 Milliarden US-Dollar.

Achmetow, der früher für die Partei der Regionen des 2014 gestürzten Präsidenten Viktor Janukowytsch in der Werchowna Rada saß, sorgte im Sommer auch für Schlagzeilen, weil er sich von seinem Medienimperium trennte. Laut dem Milliardär, dem auch der Fußballverein Schachtar Donezk gehört, um den Eintrag ins Oligarchenregister zu vermeiden.

Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich für Achmetow das Mediengeschäft auch aus politischen Gründen nicht mehr lohnt, da die Regierung nach Kriegsbeginn die Nachrichtensendungen der Fernsehsender in einem Programm gebündelt hat.

EU-Beitrittskandidatenstatus letzter Sargnagel für Oligarchen-System?

Auch die mit dem Krieg verbundenen innenpolitischen Veränderungen zeigen den Oligarchen Grenzen auf. Wegen seiner derzeit hohen Popularitätswerte ist Selenskyj für sie derzeit unangreifbar. Der letzte Sargnagel für das Oligarchen-System in der Ukraine könnte aber der EU-Beitrittskandidatenstatus des Landes werden, so die Aktivistin Haluschka.

Spätestens wenn es zu den Beitrittsverhandlungen kommt, wird es strenge Anti-Korruptionsgesetze geben müssen.

„Da der EU-Beitritt in der Bevölkerung enormen Zuspruch findet, dürfte sich keiner trauen, die Reformen zu verschleppen“, prophezeit die Aktivistin.