Ben Hodges über den Ukraine-Krieg

ZDF
Gespräch mit Ex-US-General:Warum Russland keinen Grund zu Optimismus hat (gekürzt. wb)
22.12.2023 | 17:42

Russland hat nach Einschätzung des Ex-US-Generals Ben Hodges in der Ukraine wenig erreicht. Dennoch warnt er den Westen vor abnehmender Unterstützung für das angegriffene Land.

Der Krieg in der Ukraine scheint festgefahren. Was benötigt Kiew, um die russischen Truppen doch noch zu bezwingen?  Die Unterstützung für die Ukraine aus dem Westen – sowohl verbal als auch militärisch – nimmt tendenziell ab, die Soldaten auf beiden Seiten sind erschöpft. Was für Auswirkungen hat das auf die Verteidigungschancen der Ukraine im russischen Angriffskrieg?

Bei Cherson, am südöstlichen Ufer des Flusses Dnipro, machen die ukrainischen Streitkräfte Fortschritte. Allerdings, das bestätigt auch Hodges, ist in den Einheiten zuweil von einem „Himmelfahrtskommando“ die Rede.

Die Soldaten, die da jetzt sind, die sind natürlich sehr verwundbar.

Der ukrainische Generalstab habe aber seine Gründe, den Brückenkopf auf der südöstlichen Seite des Flusses halten und ausweiten zu wollen. „Wenn man einen Brückenkopf auf der anderen Seite des Flusses hat, da wird es, wenn die Zeit gekommen ist, einfacher sein, Brücken zu bauen und mehr schwere Waffen und Ausrüstung rüber zu bringen“, sagt Hodges. So ein Gelände wolle man natürlich nicht aufgeben. Aber man muss irgendwann die Entscheidung treffen, wenn man sie (die Soldaten, Anm. d. Red.) nicht schützen kann. Wenn es das Risiko nicht wert ist, dann werden sie zurückziehen.

Der US-Militärexperte geht davon aus, dass die Ukraine in den kommenden Monaten einige erschöpfte Truppen zurückziehen werde, damit sie sich erholen können und, „um beschädigte Ausrüstung zu ersetzen oder Uniformen auszubessern“.

Ukrainische Truppen sind über den Fluss Dnipro auf russisch besetztes Gebiet vorgedrungen. Derweil erzielen im Osten der Ukraine nahe Awdijiwka offenbar die Russen Fortschritte.

Die Ukraine hat eigentlich kein Problem mit den Soldaten, sondern ein Problem mit dem System. Eine Million Ukrainer seien im wehrfähigen Alter und reichten Hodges zufolge aus, um den Krieg zu gewinnen. „Aber deren System hat so viele Probleme. Ein Teil davon ist Korruption. Ein Teil davon ist eine altertümliche Administration“, sagt der Militärexperte. Diese Probleme müsse die Ukraine beheben und es ukrainischen Männern attraktiver machen, ihrem Land zu dienen.

… zu Russlands Chancen im Krieg

Russland, sagt der ehemalige US-General, habe bisher wenig erreicht. Knapp zwei Jahre nach Beginn ihrer „speziellen Militäroperation“ besetze der Kreml 17 Prozent der Ukraine und habe rund 315.000 Soldaten verloren. Es gibt keinen Grund zum Optimismus auf der russischen Seite, außer, wenn wir im Westen zeigen, dass wir den Willen verlieren, die Ukraine zu unterstützen.

Russland sei im Kampf um die Stadt Awdijiwka – so wie damals im Kampf um Bachmut – bereit, Tausende von Menschenleben zu opfern. „Aber wofür?“, fragt Hodges. Natürlich hätten auch die Ukrainer viele Soldaten verloren, aber: Die Ukraine scheint da doch ein bisschen vorsichtiger gewesen zu sein, was den Umgang mit dem Leben ihrer Soldaten angeht.

Die russische Seite ziehe ihre Soldaten zum Beispiel im Gegensatz zu den Ukrainern nicht zu Erholungszwecken zwischenzeitlich zurück. „Ich wäre ungern ein russischer Soldat im Schützengraben, denn niemand kümmert sich um die und die Logistik der Russen liefert nicht das, was die Leute da brauchen.“

… zur Rolle Deutschlands

Hodges betont ganz besonders die Rolle Deutschlands bei der Unterstützung der Ukraine. Die wenigsten Deutschen wüssten zum Beispiel, „dass Deutschland der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine ist“. Die von Deutschland an die Ukraine gelieferten Patriot-Luftverteidigungssysteme retteten „Hunderte von Menschenleben“. Auch die von Deutschland bereitgestellten Schützenpanzer Marder lobt Hodges, allgemein leiste Deutschland sehr viel. Das Marschflugkörper-System Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern würde dem Ex-US-General zufolge jetzt einen großen Unterschied für die Ukraine machen. „Ich verstehe nicht, warum Deutschland diese Fähigkeit nicht an die Ukraine liefern will“, sagt Hodges.

… zu dem, was die Ukraine jetzt braucht

Als erstes, betont Hodges, müssten führende demokratische Nationen wie die USA und Deutschland „erklären, dass es unsere Politik ist, unser Ziel, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt“. Das wäre ganz wichtig, das würde den Russen sagen, dass ihre Hoffnung, dass wir aufgeben, falsch ist. Als zweites sei die „Lieferung von weitreichenden Präzisionswaffen“ wichtig, mit denen die ukrainischen Streitkräfte russische Kommandostäbe, Artillerie und Logistik zerstören könne. Damit könne die Ukraine auch dafür sorgen „dass die russische Marine keinen Platz im Schwarzen Meer hat“.
Für die nächsten Monate erwartet der Ex-US-General, dass die Ukraine ihre digitalen Fähigkeiten ausbauen werde, um gegen Russland auch im Bereich Drohnen zu bestehen.
Zudem hebt er die Bedeutung von F16-Kampfjets hervor, für die viele Piloten erst noch ausgebildet werden müssen. „Wenn bis zum Sommer diese F16 geliefert würden, das würde schon sehr viel bedeuten“, erklärt Hodges.