Warum überhaupt Krieg?
Schon Tiere stehlen sich gegenseitig das Futter. Seit die Menschen Vorräte angelegt haben, gab es immer Nachbarn, die keine Vorräte hatten. Also mussten die Stärksten (meist Männer) Knüppel, Schwerter oder Kanonen in die Hand nehmen, um die Vorräte zu verteidigen, und die Angreifer mussten es auch. Später ging es um Land, Macht, Reichtum oder Rohstoffe. Die üblichen buddhistischen Untugenden „Gier, Hass und Ignoranz“ reichen nicht als Erklärung, denn Gier und Hass gibt es nur dort, wo es etwas zu begehren gibt. Und für Ignoranz sorgen die Kriegsparteien selbst, wie schon im Kapitel über die Meinungen erklärt. Auch Religionen, eigentlich eine nette Erfindung, sind kein ausreichender Kriegsgrund, sie können aber sehr gut für Propaganda (und Ignoranz) benutzt werden.
Nach neueren Erkenntnissen (die mir plausibel scheinen) enden Großreiche oft dadurch, dass Klimaveränderungen und Epidemien die Wirtschaft so sehr schädigen, dass der Staat sich nicht mehr gegen äußere Angriffe wehren kann. Das Ende der Mayas kam durch eine Dürre, die sie selbst durch Abholzen des Regenwaldes herbeigeführt hatten. Das Weströmische Reich endete nicht nur durch Angriffe der Hunnen (deren Wanderungen möglicherweise durch eine Dürre in China angestoßen wurden) und Wandalen, sondern es war schon geschwächt durch Epidemien und Vulkanausbrüche, die mehrjährige Ernteausfälle verursachten. Ähnlich ging es in Europa mit der „Kleinen Eiszeit“ zu (ca. 1500 bis 1920). Syphilis (von Kolumbus aus der Karibik importiert), Pest, Cholera (durch einen Vulkanausbruch in Indonesien ausgelöst) und Spanische Grippe fielen in eine Zeit von Frost und Missernten. Wer nichts zu essen hat, überfällt den Nachbarn und plündert dort. Man kann (siehe Ignoranz) auch die Religion benutzen, um die eigene Machtgier zu umkleiden. Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Ersten Weltkrieg kam Europa nicht mehr zur Ruhe. Der Zweite Weltkrieg hatte andere Gründe, hauptsächlich Hitlers und Stalins (und jetzt auch Putins) Größenwahn (mit den selbstgemachten Hungersnöten 1929-1934), und der Gier nach Rohstoffen. Und heute haben wir wieder die klassische Situation: HIV und Corona, dazu die schnellste Klimaveränderung aller Zeiten. Dürren in der Sahelzone, Überschwemmungen und Waldbrände überall haben gewaltige Flüchtlingsströme ausgelöst (was Putin nützt). Es ist nicht abzusehen, dass sie aufhören werden. Wir sind schon mitten in der nächsten Völkerwanderung. Und deshalb gibt es wieder Krieg in Europa.
Hier noch mehr über die „Kleine Eiszeit:“
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Kleine_EiszeitWikipedia: Der Untergang des römischen Reiches – 31.10.2023 um 15:32 Uhr (stark gekürzt. wb): „Erweitert werden die neueren Erklärungsansätze für den Niedergang des Römischen Reiches durch umweltgeschichtliche Aspekte, wie sie Kyle Harper thematisiert. Zugrunde gelegt wird dabei der Prozess der politischen und ökonomischen Veränderung vom 2. Jahrhundert n. Chr., in dem das Römische Reich eine bevölkerungsreiche, urbanisierte, vernetzte politische Einheit gebildet habe, bis zum 7. Jahrhundert, da es zu einer zersplitterten, agrarischen, wirtschaftlich geschwächten Staatengruppe geworden sei. Daran haben laut Harper Klimawandel und Pandemien mitgewirkt. Während der 300 Jahre bis 200 n. Chr. sei das Klima relativ stabil feucht-warm gewesen und habe ertragreiche Ernten begünstigt. In der Endphase des Römischen Reiches hingegen sei das Klima instabil geworden, wie die paläoklimatische Forschung zeige. Seit den späten 160er Jahren habe eine Seuche, die sogenannte Antoninische Pest, als erste auf mehreren Kontinenten wütende Pandemie zu einem starken Bevölkerungsrückgang geführt, u. a. mit der Folge von Soldaten- und Arbeitskräftemangel. Weitere Rückschläge brachten die Cyprianische Pest im 3. Jahrhundert und die Justinianische Pest im 6. Jahrhundert.“ Pocken gab es auch noch.
Es war nicht die erste Klimakatastrophe. Ab etwa 1250 v.Chr. wurde es kälter, Dürre und Hungersnöte folgten, Wirtschaftsflüchtlinge (die „Seevölker“) kamen übers Mittelmeer, und das war das Ende für Mykene, die Staaten Hatti und Mittani, die Städte Troja und Megiddo (=“Armageddon“) und das ägyptische Neue Reich. Auch Seuchen: Drei der Töchter von Nofretete starben daran, die älteste (Merit-Aton) überlebte und wurde (wahrscheinlich) nach Nofretete Pharaonin. https://de.wikipedia.org/wiki/Meritaton
Wer Krieg möchte, meint es ernst. Er unterteilt die Menschen in Freunde und Feinde. Freunde sollen bitte loyal sein und keine Kritik äußern, sonst sind sie Nestbeschmutzer. Darum haben Diktatoren keinen Humor und dulden ihn auch nicht. Opposition ist in Russland nicht erwünscht. Die Ukraine hat wenigstens zu Anfang den Humor nicht verloren, aber er schmilzt.
Wer will in der Ukraine den Krieg?
1. Oligarchen
Um mal auf YYYs Argument zurück zu kommen, „da sind ja alles Oligarchen“: Oligarchen gibt es überall auf der Welt. Der letzte US-Präsident, der kein Millionär war, war Truman. In Deutschland gibt es 226 Milliardäre, und selbstverständlich wollen sie Einfluss auf die Politik nehmen und möglichst keine Steuern zahlen. Russland hat eine lange Geschichte von Leuten, die sich bereichert haben, was ja die Oktoberrevolution ausgelöst hat. Danach hat sich hauptsächlich der Staat bereichert, und als durch die Miss- und Planwirtschaft 1990 alles auseinander fiel, da bereicherten sich Etliche am Import von Bananen und Farbfernsehern.
Ukrainische Oligarchen
Die ukrainischen Oligarchen haben durch den Krieg etwa zwei Drittel ihres Vermögens verloren. Poroschenko, als er gewählt wurde, sah die Gefahr und fing an, die rückständige ukrainische Armee zu modernisieren, allerdings noch ohne Hilfe aus dem Westen. Achmetov, dem u.a. das Asov-Stahlwerk gehörte, gab Geld für die ukrainische Armee. Selenski versucht, den Einfluss der Oligarchen in Grenzen zu halten, schon um die Aufnahme der Ukraine in die EU nicht zu gefährden. Seit 2021 gibt es ein Gesetz, das Oligarchen verbietet, Einfluss auf die Politik zu nehmen.
Oligarchengesetz (ZDF)
Poroschenko könnte also jetzt nicht mehr Präsident werden. Die ukrainische Staatsanwaltschaft ist aufmerksam auf illegale Geschäfte und erhebt auch Anklagen gegen Oligarchen.
Die Macht der Oligarchen bröckelt (ZDF)
The Bill on Oligarchs in Ukraine (Wikipedia)
Ukrainischer Oligarch und einstiger Selenskyj-Förderer in U-Haft (FAZ)
Russische Oligarchen
Die russischen Oligarchen sind berühmt. Wie überall im gesamten Ex-Ostblock haben findige Investoren zugegriffen (Ostdeutschland nicht ausgenommen, man erinnert sich an die Treuhand und die Leute, die sich da bedient haben). Einer der Reichsten ist Putin. Sein Vermögen ist schwer zu schätzen, es sind sicherlich weit über 100 Milliarden Dollar. Er sorgt jetzt dafür, dass die anderen Oligarchen nicht zu mächtig werden. Eigentlich wollen Kaufleute keine Kriege, es sei denn, dass sie sich dadurch bereichern können, wie Prigoschin selig. Wer nicht Putins Krieg unterstützt oder auf andere Art ihm gefährlich wird, der fällt zufällig aus dem Fenster, oder er nimmt die falsche Arznei, oder er wird nur eingesperrt. Auch die Amerikaner kennen dieses Rezept. Als General Patton sich 1945 am Reichsbankgold vergriff, hatte er kurz darauf einen Autounfall.
Video: Putin und die Oligarchen
Video: Versteckte Milliarden
Russlands tote Oligarchen (ZDF)
2. Korruption
Orban gab neulich von sich „Die Ukraine ist auf allen Ebenen korrupt“, und der neu gewählte Fico in der Slowakei (der 2018 der Hauptverdächtige für die Ermordung des Journalisten Ján Kuciak war) verkündete, die Ukraine wäre „einer der korruptesten Staaten der Welt“. Ja, Korruption ist weit verbreitet, besonders auf dem Balkan (zu dem sich Ungarn und die Slowakei nicht zählen wollen), und in Italien mit der immer noch blühenden Mafia (und Kollegen), die sich längst über die ganze Welt ausgebreitet hat. In der Liste von Transparency International steht die Ukraine auf Platz 116. Immerhin bescheinigt TI der Ukraine bedeutende Fortschritte in der Korruptionsbekämpfung, und im November 2023 erklärte Frau vdL, dass die Ukraine 90% der Auflagen für die EU-Aufnahme in die EU erfüllt hätte – auch bei der Korruption. Russland steht auf Platz 137. Ungarn und die Slowakei sind selbst nicht ganz sauber. Die Slowakei besetzt Platz 49, Ungarn sogar Platz 77 (zusammen mit Vietnam). (Wer im Glaushaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen.)
Hier ist die Hitliste von Transparency International
3. Getreide
Russland und die Ukraine gehören zu den größten Getreideexporteuren der Welt. Ich habe bereits im vorigen Kapitel (4 Wer hat was zerstört) beschrieben, wie sich Russland einen unliebsamen Konkurrenten vom Hals schaffen möchte. Ist Getreide eine Waffe, die Russland bedroht?
4. Rohstoffe und Industrie
Als Hitler die Sowjetunion überfiel, war das natürlich nicht für das „Volk ohne Raum“. Es ging um Macht und Geld. Besonders ging es um das Donezk-Gebiet. Dort war der Erzbergbau und die Schwerindustrie der Sowjetunion konzentriert, und ohne diese Industrie war die Sowjetunion auf ihre schwindenden Vorräte angewiesen und war kurz nach Stalingrad so geschwächt, dass sie nur durch die amerikanischen Waffenlieferungen gerettet werden konnte (siehe 1 Wer hat diesen Krieg angefangen?). Auch jetzt geht es Putin nicht um die angebliche Befreiung des Volkes in Donezk und Lugansk, sondern um die Bodenschätze und die Industrie. Auch das Schwarze Meer ist nicht ohne Rohstoffe: Rumänien und die Türkei bohren bereits nach Erdgas. Dazu hat das Schwarze Meer hohe strategische Bedeutung für Russland.
Bodenschätze (ZDF)
Kriegsbeute (Deutsche Welle)
Kampf um Rohstoffe (ntv)
Also: Es geht Putin nicht darum, „unsere russischen Brüder und Schwestern im Dosbass zu befreien“, es geht auch nicht darum, die ganze Ukraine vom Fschismus zu befreien. Es geht um Macht und Geld.
Natürlich geht es auch für die USA und die NATO um Geld. Die Ukraine hatte sich bereits als Produktions- und Konsumstätte für die westliche Finanzwirtschaft etabliert, deshalb sind die USA auch daran interessiert, die alten Verträge (Leih- und Pachtgesetz, siehe Kapitel 2 und 3, und das Budapester Memorandum) einzuhalten. (Das gilt nicht für Trump, der von alledem nichts weiß.)
Die Beitrittsverhandlungen der Ukraine mit der EU werden allmählich konkreter. Die meisten Bedingungen sind erfüllt.
Stand November 2023 (Handelsblatt)
Sonstige Meinungen
Schröder-Interview
Kommentar zum Schröder-Interview (t-online)
Richard Overy über Hitler und Putin
Irina Scherbakowa (Memorial) über russische Politik (t-online)
Memorial ist eine russische NGO, die sich für Meinungsfreiheit einsetzt. Natürlich jetzt verboten. (NGO =Nicht-Regierungs-Organisation)
Janina Sokolowskaja über ukrainische Politik (Berliner Zeitung)
Tagesspiegel: Kommentar über Strategie
Ben Hodges über den Ukraine-Krieg (ZDF)
Gegen Putin hilft nur noch eines (Florian Harms)
Biden soll Atomkrieg verhindert haben, während Trump mit Putin telefonierte (FR)
Darum braucht Putin dringend Nordkoreas Soldaten (Gustav Gressel/ZDF) (gekürzt)
Stopp der Militärhilfe kostet viel mehr als Fortführung (IFW)