Wer hat den Kachowka-Damm zerstört?

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Wer hat den Kachowka-Damm zerstört?
Neue Hinweise auf Verursacher

Damm-Zerstörung: Was auf Russland hindeutet
von Jan Schneider
20.06.2023 | 15:12

Zwei Wochen nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ostukraine läuft weiter die Suche nach den Verursachern. Welche neuen Hinweise auf russische Streitkräfte hindeuten.

Vor zwei Wochen brach der Kachowka-Staudamm im Südosten der Ukraine und löste damit eine Humanitäts- sowie Umweltkrise aus. Seitdem läuft die Suche nach den Verantwortlichen für die Zerstörung. Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig, westliche Militärexperten sehen jedoch bei Russland ein größeres Interesse an der Zerstörung. Neue Recherchen kommen nun zu einem ähnlichen Ergebnis.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es?

Ein Bericht der New York Times stützte die frühere Einschätzung, dass russische Streitkräfte den Staudamm des Wasserkraftwerks höchstwahrscheinlich zerstört haben. Die Zeitung zitierte Ingenieure aus den USA und der Ukraine, die die Konstruktionspläne des Staudamms, Fotos des zerstörten Dammfundaments, Aufnahmen des ersten Bruchs und seismische Daten untersucht haben.
Die Experten stellten fest, dass die Zerstörung des Damms eher mit einer Explosion im Inneren – mutmaßlich im Maschinenraum des Kraftwerks – als mit früheren Schäden zusammenhängt. Eine solche Explosion haben mehrere seismische Sensoren in der Ukraine und in Rumänien gemessen.
Die Überschwemmungen könnten einen Einfluss auf eine mögliche ukrainische Offensive haben, so Ex-NATO-General Ramms. Durch die Überflutung sei das Gelände auf Wochen nicht nutzbar.

Seismografen haben Explosion zum Tatzeitpunkt registriert

Die um 2:54 Uhr Ortszeit entdeckte Explosion wurde von norwegischen Seismologen mit einer Stärke zwischen 1 und 2 registriert. Zum Vergleich: Die katastrophale Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020, wurde auf der seismischen Skala mit einer Stärke von 3,3 registriert und damals waren mindestens 500 Tonnen Sprengstoff involviert.

Seismische Daten können den Energieimpuls der Explosion jedoch nicht an einem genaueren Ort als innerhalb von 20 bis 30 Kilometer um den Staudamm lokalisieren. Der norwegische Seismologe Volker Oye gab jedoch an, dass es ein „ungewöhnlicher Zufall wäre, wenn etwas anderes als eine Explosion den Energieimpuls verursacht hätte“.

Ein Raketenangriff wird ausgeschlossen

Bereits kurz nach dem Dammbruch beschuldigte Russland die Ukraine, den Damm mit einem der Mehrfachraketenwerfer-Artilleriesysteme HIMARS beschossen zu haben und den Damm so zum Einsturz gebracht zu haben. Der Kachowka-Staudamm gehört allerdings zu einer Reihe von Staudämmen aus der Sowjetzeit, die gebaut wurden, um enormen Kräften – genauer gesagt Tausenden Kilo Sprengstoff – standzuhalten. Er ist mit der Kenntnis über Angriffe auf Talsperren im Zweiten Weltkrieg errichtet worden, bei denen mehrere deutsche Staudämme zerstört wurden.

Zerstörung des Möhne-Staudamms 1943

Für die Zerstörung des Möhne-Staudamms in Nordrhein-Westfalen waren im Jahr 1943 fünf 4,5 Tonnen schwere, speziell angefertigte „Sprungbomben“ erforderlich, wie aus den Archiven des Imperial War Museum hervorgeht. Es wird angenommen, dass die Ukraine über keine einzige Rakete dieser Art verfügt.

Laut „New York Times“ geht auch das US-Militär von einer Explosion im Inneren des Damms aus und schließt einen Angriff von außen als Grund für den Dammbruch aus.

Drohnenaufnahmen von kurz vor der Zerstörung

Auch Recherchen der Nachrichtenagentur AP sehen die Täterschaft bei den russischen Streitkräften: Russland hatte demnach die Mittel, ein Motiv und die Gelegenheit, den Kachowka-Damm zu zerstören. Entscheidend dabei sei, dass Russland den Staudamm zum Zeitpunkt der Zerstörung kontrolliert hat.

Drohnenvideos des ukrainischen Militärs aus den Tagen vor der Zerstörung zeigen Dutzende russische Soldaten am Ufer des Dnipro, denen keinerlei Anzeichen von Unruhe anzumerken waren – ein Hinweis darauf, dass sie sich ihrer Kontrolle über das Gebiet und den strategisch wichtigen Staudamm sicher waren.

Auf Drohnenaufnahmen vom 28. Mai war auch ein auf dem Damm geparktes Auto zu sehen, dessen Dach sauber aufgeschnitten war. Darin zeigten sich riesige Fässer, eines davon offenbar mit einer Landmine am Deckel versehen.

Aus Kreisen der ukrainischen Spezialeinheiten hieß es, dies könne einen zweifachen Zweck gehabt haben: gegebenenfalls einen ukrainischen Vorstoß auf den Damm zu stoppen und die geplante Explosion mit Ursprung im Maschinenraum zu verstärken. Eine solche Autobombe allein hätte nicht ausgereicht, um das Bauwerk zu brechen.

Ukraine will Beweise in abgehörtem Gespräch entdeckt haben

Einen weiteren Hinweis auf die russische Täterschaft soll ein vom ukrainischen Geheimdienst mitgeschnittenes Gespräch eines russischen Soldaten liefern. Darin sagt der Mann: „Unsere Sabotagetruppen waren dort. Sie wollten mit dem Damm einen Schrecken einjagen. Es lief nicht ganz nach Plan.“

Er beschreibt im weiteren Verlauf des Gesprächs auch die Folgen des Dammbruchs: steigende Wasserstände, Überflutung von Gebieten und Zerstörung. Auch früher gab es Spekulationen, dass Russland das Wasser des Kachowka-Stausees nutzen könnte, um Gegenangriffe der Ukraine zu vereiteln. Die Belastbarkeit des von der Ukraine veröffentlichten Mitschnitts ist jedoch begrenzt, da Kiew klar das Interesse verfolgt, Moskau für die Zerstörung des Damms verantwortlich zu machen.

Wer hat größeren Schaden durch die Damm-Zerstörung?

Die Folgen für die Menschen im Südosten der Ukraine und für die gesamte ukrainische Wirtschaft sind voraussichtlich katastrophal.

Drei Kraftwerke, die vor Russlands Überfall für 30 Prozent der ukrainischen Stromproduktion verantwortlich waren, sind betroffen. Das bisherige System der Trinkwasserversorgung von etwa 400.000 Menschen im ukrainischen Küstengebiet des Asowschen Meers, einschließlich der Städte Melitopol und Berdjansk, ist zerstört. Zudem ist auch die Landwirtschaft betroffen, da die seit Jahrzehnten etablierten Bewässerungssysteme nicht mehr funktionieren – damit ist die Existenzgrundlage von Tausenden Menschen in Gefahr. Auch auf der Krim würde wieder der Wassernotstand der Jahre 2014 bis 2022 herrschen, die Folgen für die von Russland besetzte Halbinsel sind jedoch weniger dramatisch.

Fazit: Es gibt weiterhin nicht den einen abschließenden Beweis, die sogenannte „Smoking Gun“, wodurch die Schuld an der Zerstörung des Staudamms einer der Kriegsparteien angelastet wird. Die vielen kleinen Puzzleteile in der Aufklärung der Zerstörung deuten aber immer stärker in die Richtung der russischen Streitkräfte.