Tagesspiegel
Systematische Folter
Mittwoch, 30.10.2024 – von Nora Ernst
Eine UN-Expertin wirft Russland in ihrem jüngsten Bericht systematische Folter von Kritikern und inhaftierten Ukrainern vor. Folter sei kein „neues Phänomen“ in Russland, seit dem Einmarsch in die Ukraine sei daraus jedoch eine „konzertierte Strategie“ geworden, um „Kriegskritiker oder Dissidenten zum Schweigen zu bringen“, sagt die Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Russland, Mariana Katzarova.
Dass Russland offenbar nicht nur im Inland, sondern auch in den besetzten ukrainischen Gebieten systematisch Gewalt einsetzt, macht ein Bericht der „New York Times“ deutlich (Quelle hier). Ein Team von Reportern sprach über Monate hinweg mit dutzenden Ukrainern, die unter russischer Besatzung gelebt hatten, mit Ermittlern der ukrainischen Staatsanwaltschaft und Menschenrechtsaktivisten in Kiew, Sumy, Odessa und Cherson.
Russland, so das Ergebnis der Recherche, habe ein brutales System der Unterdrückung aufgebaut. „Diese Gewalt, diese Grausamkeit“ habe ein „klares Ziel“, sagte Oleksandra Matwitschuk, Leiterin des Kiewer Zentrums für bürgerliche Freiheiten, das seit 2014 Menschenrechtsverletzungen dokumentiert: Es sei eine „Kriegstaktik, um die Kontrolle in den besetzten Gebieten zu behalten“.
Mit Folter, Propaganda, Umerziehung und erzwungenen russischen Staatsbürgerschaften solle die ukrainische Identität regelrecht ausgelöscht werden, berichteten Menschenrechtsaktivisten. Rund 22.000 Ukrainerinnen und Ukrainer würden in Gefängnissen, inoffiziellen Lagern und Kellern festgehalten – oftmals mit fadenscheinigen Begründungen. Menschen würden verschleppt, Zivilisten im Schnellverfahren hingerichtet, gefoltert und vergewaltigt.
Einer, der das am eigenen Leib erfahren hat, ist der 48-jährige Anwalt Jewheny, dessen Heimatstadt im Süden der Ukraine von Russland besetzt worden war. Im Dezember 2022 seien acht russische Soldaten in sein Haus eingedrungen, hätten ihn verschleppt und eine Woche lang brutal verhört, erzählte er. Mit einer Brechstange hätten sie ihn verprügelt, sein Ertrinken simuliert und ihm mit einer Plastiktüte die Luft abgeschnürt. Als sie ihn wieder freiließen, habe er sechs Wochen lang nur im Sitzen schlafen können. „Meine Beine, mein Hintern, alles von der Taille abwärts war schwarz von den Schlägen“, sagte er.