Minen (ZDF)

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Ukraine auf Jahrzehnte verseucht : Landminen: Der Tod lauert in jedem Feld
von Markus Thöß, Nils Metzger, Katja Belousova

Datum:
04.04.2023 14:06 Uhr

Landminen und nicht explodierte Sprengsätze kosten zahllose Leben in der Ukraine. Das Land von ihnen zu befreien, dürfte Jahrzehnte dauern. Dabei helfen auch deutsche Freiwillige.

Vor einem Jahr, am 4. April 2022, feierte die Ukraine ihren ersten großen Sieg. Damals zogen sich die russischen Streitkräfte geschlagen aus der Region um Kiew zurück. Doch bis heute hat der Krieg dort und in anderen Regionen todbringende Spuren hinterlassen – das Land ist weiterhin verseucht mit Landminen und nicht explodierten Sprengsätzen.

Laut dem „Landminen Monitor 2022“ der Internationalen Kampagne für ein Verbot von Landminen (ICBL) starben allein in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres mindestens 277 Zivilisten in der Ukraine durch Landminen. Darunter auch viele Kinder, die die Minen nicht als solche erkennen und sie für Spielzeug halten.

Viele Regionen der Ukraine vermint

Das genaue Ausmaß der Minenverseuchung kann nur geschätzt werden. Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vom März sei knapp ein Drittel der ukrainischen Landesfläche durch Minen und nicht explodierte Kampfmittel gefährdet. Aus Angst vor Minen trauen sich auch viele Landwirte nicht mehr auf ihre Felder – ukrainische Bauernvertreter rechnen mit Auswirkungen auf die Ernte.

Seit ihrem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 haben die russischen Streitkräfte nachweislich mindestens sieben Arten von Antipersonenminen eingesetzt – die unterscheiden nicht zwischen Soldaten und Zivilisten und ihre Splitter sind oft noch auf Dutzende Meter tödlich.

MOB, Herkunft: Russland, Typ: Stockmine, Zündung: Stolperdraht/Befehl
MON-50, Herkunft: UdSSR/Russland, Typ: Stockmine, Zündung: Stolperdraht/Befehl
MON-100, Herkunft: UdSSR/Russland, Typ: Stockmine, Zündung: Stolperdraht/Befehl
OZM-72: Herkunft: UdSSR/Russland, Typ: Stockmine, Zündung: Stolperdraht/Befehl
PMN-4, Herkunft: Russland, Typ: Druckmine, Zündung: Druck
POM-2/POM-2R, Herkunft: UdSSR/Russland, Typ: Stockmine, Zündung: Stolperdraht
POM-3: Herkunft: Russland, Typ: Stockmine, Zündung: Erschütterung

Quelle: Landmine Monitor 2022

Antipersonenminen international geächtet

Dabei ist der Einsatz von Antipersonenminen international geächtet. Das Ottawa-Abkommen von 1997 verbietet Herstellung, Lagerung und Einsatz bestimmter Minenarten, die gegen Menschen gerichtet sind. Russland zählt neben China und den USA zu jenen Ländern, die dieses Abkommen nicht unterzeichnet haben. Die Ukraine ratifizierte es 2005.

Ihren Bestand an Antipersonenminen hatte die Ukraine zu Kriegsbeginn jedoch nicht vollständig vernichtet. Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch von Januar warf auch Kiew vor, in der Region Isjum mit Raketen verschossene Antipersonenminen eingesetzt zu haben. Die ukrainische Regierung kündigte daraufhin eine Untersuchung der Vorwürfe an.

Für Anti-Fahrzeug-Minen hingegen existieren Verbote, wie sie im Ottawa-Abkommen formuliert sind, nicht. Allein aus Deutschland hat die Ukraine nach Angaben der Bundesregierung darum bereits 14.900 Panzerabwehrminen erhalten.

Beseitigung kann Jahrzehnte dauern

Nicht erst seit Februar 2022 hat die Ukraine mit einem Minen-Problem zu kämpfen – auch aus dem Zweiten Weltkrieg und dem seit 2014 andauernden Konflikt im Osten des Landes liegen noch immer Sprengsätze über das Land verteilt. Russlands Invasion im vergangenen Jahr hat die Situation weiter verschärft.

„Es wird vermutlich Jahrzehnte dauern, bis die Ukraine wieder frei von Minen ist – und darum werden viele Menschen gebraucht, die diese Arbeit dort vor Ort machen können“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Arlt, der Mitglied des Verteidigungsausschusses ist.

Und so liefert Deutschland der Ukraine nicht nur Landminen, sondern auch Gerät für deren Beseitigung. Bei der Minenräumung hilft Berlin mit bislang zwei Minenräumpanzern Wisent 1 und elf mobilen, teils ferngesteuerten Minenräumgeräten. 40 weitere Wisent-Panzer sind zugesagt.

Der ukrainische Präsident Selenskyj beschuldigt Russland, ehemals besetzte Gebiete massiv vermint zu haben. Laut einem Bericht starben durch Minen bislang über 270 Menschen.

Zahlreiche Staaten finanzieren zudem Projekte in der Ukraine zur Beseitigung von Landminen. Anfang Februar stellte die Europäische Union der Ukraine zusätzliche 25 Millionen Euro für die Minenräumung bereit.

Die eigentliche Arbeit des Minenräumens fernab der Frontlinien wird häufig von zivilen Organisationen durchgeführt. Unterstützung kommt dabei auch von freiwilligen Helfenden wie Tom*. Der Hamburger nutzt jeden freien Tag, um der Ukraine bei der Kampfmittelbeseitigung zu helfen, organisiert dafür von Spendern Fahrzeuge und Spezialgeräte. Dabei kommt ihm seine Erfahrung aus dem Sicherheitsbereich zugute.

„Auslöser war ein Bericht über Waisenkinder in der Zentralukraine“, erzählte er ZDF frontal über seine Motivation. Sein Engagement habe sich dann „immer mehr verselbstständigt“, erinnert sich Tom.

Nun hilft er dem ukrainischen Kampfmittelräumdienst EOD. Zuletzt organisierte er einen Spezialanhänger, der als fahrbare Explosionskammer benutzt werden kann. Sie sieht aus wie eine riesige Kugel. Darin kann Sprengstoff bis zu fünf Kilogramm gefahrlos explodieren. Wichtig wird die Kammer vor allem dann, wenn Minen in dicht besiedeltem Gebiet gefunden werden.

Mit diesem Anhänger hier können wir die Minen ohne Gefahr an einen Ort fahren, wo wir sie sprengen können, wenn wir sie am Fundort nicht entschärfen können.

Tom will dem Kampfmittelräumdienst auch in Zukunft helfen. „Solange der Krieg weitergehen wird, so lange mache ich auch weiter“, erklärt er. Bis die letzten Spuren dieses Kriegs beseitigt sind, dürfte es jedoch noch lange dauern.

* Toms Nachname wird aus Sicherheitsgründen nicht genannt.