ZDF
Klitschko: „Genozid“ an Kindern
von Felix Rappsilber
Datum: 27.09.2023 01:21 Uhr
Wladimir Klitschko attestiert dem russischen Militär ein „Sklavengefühl“. Bei den massenhaft entführten ukrainischen Kindern sieht er eine „Evolution des Genozids“.
„Nein, ich bin nicht bereit, für das Land zu sterben“, sagte Wladimir Klitschko am Dienstagabend bei Markus Lanz, „ich bin bereit, für das Land zu leben.“ Das sei „komplizierter als sterben“. In der Ukraine gebe es im Moment „keine Sicherheit, dass du am Leben bleibst oder gesund bleibst“. Daher sei Klitschko „nicht nur bereit“ für die Front, sondern bereits dort gewesen, „um die Eindrücke zu schaffen“. Jeder unter 60-jährige Ukrainer müsse damit rechnen, ab einem gewissen Zeitpunkt zu kämpfen.
Sklavengefühl der russischen Soldaten
Dabei gebe es einen Unterschied zu russischen Soldaten: Sie würden „mit Waffen oder sogar ohne Waffen“ nach vorne rennen, würden „gekillt“. In Wellen kämen „wieder und wieder“ neue russische Soldaten an die Front. Klitschko sagte: „Wenn man dieses Sklavengefühl versteht und wie die russischen Soldaten behandelt werden, wie die mobilisiert werden, wie die dann hingeschmissen werden, sorglos – Ukrainer sind anders: Wir sind freie Menschen.“
Kämpfende Ukrainerinnen und Ukrainer seien „nicht mobilisiert“, sondern „in der Mehrheit Menschen, die sich freiwillig entschieden haben, an die Front zu gehen“. Es sei „mental“ ein ganz anderes Bild, „wenn du es machen musst, wie das von russischer Seite ist“, als wenn der „freie Mann sich und das eigene zu Hause verteidigt, die eigene Familie, die eigene Stadt, das eigene Land“.
„Wir wollen leben für das Land“, sagte Klitschko. Gegen einen zahlenmäßig überlegenen Gegner suchten die Ukrainer darum Möglichkeiten, „dass wir mit schlauen Waffen besser vorankommen, auch in dieser Konteroffensive“.
Klitschko stellte klar: „Nicht alle sollten und müssen an der Front sein.“ Diese brauche das „Backup von hinten“, einen Nachschub von Equipment und Know-how. Dennoch beschäftige sich „fast jeder Ukrainer“ mit dem Waffenumgang, „strategisch in der Stadt, auf dem Feld, Erster Hilfe“. Für letztere würden „auch Kinder ausgebildet“, so Klitschko. „Man adaptiert sich. Man gewöhnt sich daran. Man digitalisiert sich.“ Denn dank einer „guten Digitalisierung“ habe man die Möglichkeit, zu entdecken, worauf der Feind sich vorbereite, das „Verbrechen zu speichern und weiterzugeben“.
Verbrechen, die sogar Kinder träfen. Klitschko sprach von einer „eigenen Evolution des Genozids, wo man die Kinder klaut“. Fast 20.000 ukrainische Mädchen und Jungen sollen seit dem 24. Februar 2022 systematisch nach Russland deportiert worden sein.
Auch Selenskyj spricht von Genozid
2014 hatte der Krieg in der Ostukraine begonnen. Seitdem sei dort lebenden Kindern vonseiten russischer Propaganda erklärt worden, dass im Westen des Landes Nazis und Faschisten leben würden. Den damals Zehn- bis 14-Jährigen habe man später Waffen gegeben, so Klitschko: „Es gibt klare Fälle, wo Geschwister gegeneinander kämpfen.“ Russland unterziehe ukrainische Kinder einer Gehirnwäsche. Als Resultat würden sie das „eigene Volk mit eigenen Menschen“ bekämpfen: „Es ist eine brutale Art und Weise, sehr klar ausgedacht und geplant von russischer Seite.“
Den Kindern sei „erklärt worden, dass die Ukraine nicht existieren durfte: ‚Es ist ein Fehler der Geschichte gewesen. Wir sind ein Volk.'“ Klitschko widersprach: „Wir sind nicht ein Volk.“ Russland sei nicht die Ukraine. Die Ukraine habe eigene Grenzen, ein eigenes Land, eine eigene Sprache und ein eigenes Streben nach Demokratie.