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Waffenstillstand in der Ukraine?: Wie Wagenknecht die Realität verzerrt
von Oliver Klein und Jan Schneider
22.02.2023 | 20:07
Sahra Wagenknecht behauptet, Israels Ex-Premier sei im März kurz davor gewesen, einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg zu erreichen – der Westen hätte das blockiert. Was ist dran?
Es sind immer wieder dieselben Aussagen von Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, die für Diskussionen sorgen: Der Krieg in der Ukraine könne schon lange vorbei sein, hätte der Westen im letzten Frühjahr nicht Verhandlungslösungen abgelehnt. Auch gestern wieder in der ZDF-Talkshow Markus Lanz: „Der ehemalige israelische Ministerpräsident Bennett hat ja im Frühjahr versucht zu vermitteln“, sagte sie. Bennett habe nach eigener Aussage „auf beiden Seiten“ eine große Kompromissbereitschaft erkannt. Wagenknecht zitiert Bennett:
Er sagt, er war kurz davor, einen Waffenstillstand zu erreichen. Blockiert wurde es von den USA und von Großbritannien.
Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht über Bennetts Friedensinitiative
Solche Behauptungen sind nicht neu: Schon im Mai 2022 hatten die Linken-Politikerinnen Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen behauptet, der Westen stelle sich gegen einen Waffenstillstand und wolle, dass der Kampf weitergeht.
Bennett vermittelte zwischen Ukraine und Russland
Nun also Bennett. Was war geschehen? Der frühere israelische Premierminister Naftali Bennett hatte tatsächlich in den ersten Kriegstagen eine Friedensinitiative gestartet, nach seinen Aussagen auf Wunsch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Er habe mit ihm und auch mit Wladimir Putin gesprochen und war am 5. März 2022 nach Moskau gereist, um diesen zu treffen. Anfang Februar sprach er darüber erstmals ausführlich mit dem israelischen Journalisten Hanoch Daum.
In dem Interview sagte Bennett, Putin habe während der Vermittlungsbemühungen seine Forderung nach einer Entwaffnung der Ukraine aufgegeben. Die Ukraine habe zugesagt, nicht der Nato beizutreten. Doch war er damit „kurz davor, einen Waffenstillstand zu erreichen“, wie Wagenknecht behauptet? Tatsächlich hat Bennett das nie so gesagt.
Bennett sah 50:50-Chance für Einigung
Der Ex-Premier räumte einer diplomatischen Vereinbarung für einen Waffenstillstand eine 50-prozentige Chance ein. Auf die Nachfrage, ob der Westen den möglichen Waffenstillstand blockiert hätte, antwortet Bennett: „Grundsätzlich ja. Sie haben’s blockiert und ich dachte, dass sie damit falsch lagen“. Aber: Im Rückblick sei er da nicht mehr so sicher, so Bennett. Es sei „noch zu früh, um diese Entscheidung abschließend zu bewerten“. Später twitterte Bennett auch nochmal:
Es ist nicht sicher, ob es einen Deal gegeben hätte. Damals habe ich ihm eine Chance von etwa 50 Prozent gegeben. Die Amerikaner hielten die Chancen für viel geringer. Schwer zu sagen, wer Recht hatte.
Naftali Bennett, früherer israelischer Premierminister
Bennetts Einschätzungen unterschlägt Wagenknecht.
Russland hat Vertrauen verspielt
Im Frühjahr 2022 gab es gleich mehrere Gründe, die einem Waffenstillstand oder gar einem Friedensvertrag entgegen standen – die Wagenknecht aber ebenfalls nicht erwähnt: Die von der Ukraine geforderten Sicherheitsgarantien des Westens wären mit Putin kaum vorstellbar gewesen, da das für Russland einem Pakt mit der Nato gleichgekommen wäre. Vor allem aber:
In der Ukraine und im Westen gab und gibt es wenig Vertrauen, dass Putin sich an gemachte Zusagen hält. Kurz nach Bekanntwerden des Interviews mit Bennett nannte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba Putin einen „erfahrenen Lügner“: „In der Vergangenheit hat Putin versprochen, die Krim nicht zu besetzen, nicht gegen das Protokoll von Minsk zu verstoßen und nicht in die Ukraine einzumarschieren. Dennoch hat er all diese Dinge getan.“
Der ukrainische Außenminister Kuleba bei Twitter
Laut Bennett habe Putin ihm gegenüber in Moskau bei seiner Friedensinitiative auch das Versprechen gegeben, Selenskyj nicht zu töten. Bennett habe extra noch einmal nachgefragt: „Ich muss sicher sein, dass Sie mir Ihr Wort geben, Selenskyj nicht umzubringen“ – worauf Putin erneut zugesichert haben soll: „Ich werde Selenskyj nicht töten.“
Im Widerspruch dazu stehen Berichte der ukrainischen Spionageabwehr: Demzufolge wurden in den ersten Tagen des Krieges gleich mehreren Mordversuche und Attentate auf die ukrainische Regierung vereitelt.
Butscha als Wendepunkt
Und dann kam Butscha: Unmittelbar nach den Friedensgesprächen von Istanbul Ende März war das Massaker von Butscha mit hunderten getöteter ukrainischer Zivilisten bekannt geworden. Das Kriegsverbrechen markiert einen Wendepunkt. Experten wie Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München sehen darin den Grund, dass damals keine erneuten Friedensgespräche aufgenommen wurden. Und auch der von Wagenknecht zitierte Naftali Bennett Bennett zieht in dem Interview mit Blick auf die Chancen einer kurz- oder mittelfristigen Verhandlungslösung das Fazit:
Als das passiert ist, sagte ich: „Es ist vorbei.“
Naftali Bennett über die Auswirkungen des Massakers von Butscha
Fazit: Die Aussage von Sahra Wagenknecht, Bennett sei „kurz davor“ gewesen, einen Waffenstillstand zu erreichen, der dann aber vom Westen verhindert wurde, ist falsch. Bennett selbst schätzt die Chancen für einen „Deal“ rückblickend auf 50 Prozent, die USA seien deutlich skeptischer gewesen und könnten auch damit Recht gehabt haben, so Bennett. Später bereitete das Massaker von Butscha allen ukrainisch-russischen Gesprächen über einen Waffenstillstand ein Ende.