Rückkauf von Königsberg?

Spiegel
22.01.2001, 17.43 Uhr
Königsberg für eine Hand voll Euro?
Von Rudolf WagnerDie Bundesregierung will das alte preußische Königsberg, heute Kaliningrad, nicht von den Russen gegen einen Schuldenerlass in Milliardenhöhe abkaufen. Das ist, reichlich zugespitzt formuliert, der Inhalt eines Berliner Dementis auf einen Bericht der britischen Zeitung „Sunday Telegraph“. Das Blatt vermutete „Geheimgespräche“.

Brüssel – Wenn Litauen und Polen der EU beitreten und unmittelbar darauf ihre Grenzen für Nicht-EU-Angehörige dichtmachen, dann wird Kaliningrad zur russischen Enklave. Im Jahre 2003 oder 2004 könnte es so weit sein. Die EU bereitet sich auf diesen Tag vor. Kurz bevor Außenkommissar Chris Patten in der vergangenen Woche nach Moskau reiste, um dort mit Ministerpräsident Michail Kassjanow zu konferieren, veröffentlichte er ein Diskussionspapier „über die Folgen der Erweiterung für das Kaliningrader Gebiet“. Er geht von einer Schreckensbilanz aus. „Das Kaliningrader Gebiet ist mit organisierter Kriminalität, Umweltverschmutzung sowie umfangreichen Drogen- und Gesundheitsproblemen konfrontiert“, heißt es in dem Dokument. Für den ehemals für Zivilisten gesperrten Hafen für atomgetriebene Einheiten der Roten Flotte ist „Umwelt“ noch immer ein Fremdwort. Die vorgelagerte Küste ist verseucht. Tuberkulose und Aids haben nach Berichten des Moskauer Ministeriums für Zivilverteidigung und Notfälle weite Bevölkerungskreise erfasst. Das Trinkwasser ist nicht rein, die künftige Energieversorgung ungeklärt.Putins FaustpfandDie EU will so rasch wie möglich dafür sorgen, dass Kaliningrad künftig weder Bandenkriminalität noch Umweltverschmutzung exportieren kann. Nicht durch Abschottung, sondern durch Hilfe und Integrationsangebote soll dieses Ziel erreicht werden. Stichworte dazu sind: kleiner Grenzverkehr, regionale Handelsbeziehungen, erleichterte Visabeschaffung, Fischereiabkommen. Die bisherigen EU-Ausgaben für Kaliningrad erreichen etwa 30 Millionen Mark, sind also unter der Rubrik „Peanuts“ einzuordnen. Jetzt wird’s wohl etwas mehr werden. Kaliningrad, halb so groß wie Belgien und mit knapp einer Million Einwohnern, wird gerade vom russischen Präsidenten Putin als Faustpfand gegenüber der neuen amerikanischen Regierung und ihren Sternenkriegsplänen missbraucht. Wie es heißt, hat das Militär atomare Kurzstreckenraketen nach Kaliningrad verlagert. Das angrenzende Polen ist vor kurzem Nato-Mitglied geworden. Ljudmila Putin, Russlands First Lady, kommt aus Kaliningrad. Ob ihr Gatte deshalb das Schicksal der Stadt besonders beachtet, ist zweifelhaft. Aber „es ist unmöglich anzunehmen, dass Russland, das sich jahrzehntelang für den Erhalt der Kurilen stark gemacht hat, also für vier kleine Inseln weitab von Japans Küste, heute Kaliningrad für einen Schuldenerlass an Deutschland verschleudert“, schreibt die „Vremja Novostei“. Doch genau das hatte der „Sunday Telegraph“ berichtet. In einem EU-russischen Assoziierungsabkommen sollte Deutschland die wirtschaftliche Kontrolle über Kaliningrad zugestanden werden. Gerhard Schröder habe bei seinem letzten Besuch im Kreml die Russland-Schulden als einen Hebel eingesetzt, um den deutschen Einfluss im ehemaligen Königsberg zu vergrößern. Seinem als privat deklarierten Besuch zum russischen Weihnachtsfest seien „Geheimgespräche“ mit Putin gefolgt. Wladimir Jegorow, der Gouverneur der Region Kaliningrad, teilte dazu lapidar mit, er habe keinerlei Anweisung von Präsident Putin erhalten, Deutschlands Wirtschaftsführer künftig besser zu behandeln als andere Investoren. Und die Bundesregierung dementierte Geheimgespräche. Der Bericht des „Sunday Telegraph“ sei völlig aus der Luft gegriffen, sagte eine Sprecherin.Beim EU-Russland-Gipfel im Mai werden Schröder und Putin wieder Gelegenheit haben, über Kaliningrad zu sprechen. Dann sind glücklicherweise mehr Zeugen dabei.