Ukraine-Krieg:
Angebliche Nato-Bedrohung
Prigoschin widerspricht wichtiger Propagandaerzählung des Kreml
Jewgenij Prigoschin und Russlands Verteidigungsminister Schoigu liefern sich seit Wochen einen Machtkampf. Nun greift der Wagner-Chef eine Grundfeste russischer Propaganda an – die auch Mitgrund der Invasion war.
23.06.2023, 13.33 Uhr
Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin: »Die Ukraine und Nato wollten Russland vor dem Krieg nicht angreifen«
Der Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgenij Prigoschin, ist mittlerweile für seine Attacken gegen die eigene Militärführung berüchtigt. Immer wieder wirft er in Videos auf seinem Telegramkanal dem Kreml Versagen in der Ukraine vor. Nun hat er mit einer der wichtigsten Propagandaerzählungen aufgeräumt, mit denen Russland bisher seinen völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine rechtfertigt.
»Die Ukraine und Nato wollten Russland vor dem Krieg nicht angreifen«, sagt Prigoschin in einem neuen Video. Es habe vor dem 24. Februar 2022, dem Beginn der russischen Invasion, keinerlei »verrückte Aggressionen« vonseiten Kiews gegeben, nur jene Art Scharmützel in der Ostukraine, wie sie dort seit 2014 geschehen.
Der russische Präsident Wladimir Putin – und die russische Öffentlichkeit – seien hier von der Militärführung belogen worden. Der Krieg sei nur angezettelt worden, damit sich »ein paar Kreaturen selbst feiern können«, sagte Prigoschin an das Verteidigungsministerium gerichtet. Das alles passiere auf Kosten der »Leben von Zehntausenden unserer Jungs«.
Die Attacke dürfte sich vor allem gegen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow richten. Gegen beide schießt Prigoschin regelmäßig. Erst kürzlich warf er ihnen vor, Putin »Blödsinn« über die Lage in der Ukraine zu erzählen. Auch in seinem neuen Video schildert der Wagner-Chef die Lage im Kriegsgebiet weniger beschönigend als der Kreml. So seien russische Truppen vermehrt auf dem Rückzug, die ukrainische Offensive verlaufe erfolgreich.
Ausdauernde Fehde
Prigoschin und Schoigu befinden sich seit längerer Zeit miteinander in Konflikt. Schoigu hatte eine Anordnung erlassen, nach der von Juli an alle Kämpfer aus den sogenannten Freiwilligenverbänden, unter die auch die Wagner-Söldner fallen, einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnen müssen. Prigoschin teilte daraufhin mit, eine solche Anordnung nicht zu unterzeichnen.
DER SPIEGEL 26.05.2023
Kremlchef Putin hatte den Angriff auf die Ukraine damals damit begründet, dass russischstämmige Bürgerinnen und Bürger im Land vor angeblichen faschistischen Übergriffen beschützt werden müssten.
Auch bedrohe die Nähe der Ukraine zur Nato angeblich russische Sicherheitsinteressen. Viele der Aussagen Putins mit Blick auf die Ukraine dürften vor allem auf falschen Beratungen des russischen Geheimdienstes FSB fußen.
Abgerufen am 24.8.2023